Sehr 1990
Gut am Arbeitgeber finde ich
Dass hier Menschen auch über 20 Jahre lang ihren Job machen können wie in einer Behörde. Ich meine, klar, oben habe ich gerade gesagt, das sei langweilig. Aber das bedeutet eben auch, dass es sicher ist. Wo sonst kann man jedes Jahr im Wechsel die gleichen 52 Promis interviewen? Wo sonst die gleiche Reportage von der einsamen Hallig viermal im Abstand von 10 Jahren schreiben? Wo sind Yoga, Hundeyoga, SUP-Yoga und Hormonyoga Themen für Reporter? Ist doch auch ganz kuschlig. Da wird der Apfelkuchen aus dem Ausflugslokal nachgebacken, zu Ostern gibts Lamm und endlich mal wieder werden Korkenzieherlocken nachgedreht. Korkenzieherlocken! Das alles ästhetisch komplett unberührt von der Instagram-Optik der 10-er Jahre, sprachlich ebenso eingefroren in den 90ern, das ist doch auch irgendwie toll.
Schlecht am Arbeitgeber finde ich
Ach naja, wer kotzt sich schon auf so Portalen aus. Tatsächlich könnte man auf die Idee kommen, dass hier nur die schwächeren Mitarbeiter bleiben, denen vor allem das Wort "unbefristet" gefällt und die sich in der Yoga-Zucker-Diät-Welt so schön eingelullt haben, dass sie mit wenig zufrieden sind. Die richtig guten werden ohnehin nicht gefördert, da sie mit ihrer Dynamik nicht ins Unternehmen passen. Alle, die hier weggegangen sind, sind heute in Leitungs- und Führungspositionen. Warum ich also noch da bin? Siehe oben, ich sehe die Vorteile, habe noch weniger als 20 Jahre zur Rente und habe den Anspruch, ernsten Journalismus zu betreiben, schon lange aufgegeben.
Würde ich den Arbeitgeber empfehlen? Na klar. Allen, die Chillen wollen. Die auch im Beruf gerne aufm Sonnendeck sind. Die gerne in der Mitte schwimmen statt vorneweg. Allen, die sich damit abgefunden haben, dass sie Ikonen der Mittelmäßigkeit sind. Klar - so wie ich. Das Leben ist schön mit viel Ehrlichkeit und wenig Anspruch. Simplify your career!
Verbesserungsvorschläge
Die redaktionellen Inhalte hier sind überraschend zeitlos; man hat das Gefühl, so ein Heft hätte man exakt so auch vor 15 Jahren aus dem Kioskregal fischen können. Die Mitarbeiter wissen, dass sie in einer Retro-Institution arbeiten, die nicht gerade ein Hort der Innovation ist, und machen es sich darin bequem. Das ist für all diejenigen, die möglichst stressfrei durchs Berufsleben kommen wollen, schön. Für Menschen, die den Anspruch haben, etwas zu bewegen, für sich selbst und inhaltlich, ist das hier sehr unspannend.
Mit anderen Worten: Wer gerne so texten möchte, dass die 60-, 70-jährige Erbtante sich darin wiederfindet, wer Themen zwischen Tierbabys, Föhnfrisuren und der Wichtigkeit von Umgangsformen spannend findet und wer wissen will, wie es bei jedem Musical Deutschlands hinter der Bühne aussieht, aber wirklich jedem, der wird sich hier sehr wohlfühlen.