Ein Traum für jeden Investigativjournalisten
Arbeitsatmosphäre
Die Arbeitsatmosphäre habe ich als angespannt und unkollegial empfunden. Der Druck wird von oben nach unten weitergegeben, worunter die Mitarbeiter in den Filialen stark leiden. Eine Unterbesetzung ist Standard und auch gewollt, um maximale Stückleistungsziele zu erreichen. Die Arbeitsatmosphäre ist außerdem geprägt von Angst. Ich habe bisher in keinem Unternehmen erlebt, dass Führungskräfte so um ihren Arbeitsplatz bangen müssen. Wenn jemanden deine Nase nicht passt, dann musst du gehen. Beim Lidl wird nicht vertraut sondern kontrolliert.
Kommunikation
Die Kommunikation innerhalb der Vertriebsgesellschaft ist nicht effizient. Informationen werden nicht weitergegeben oder gezielt vorenthalten. Es herrscht zwar eine Du-Kultur, allerdings habe ich das Verhältnis zu den Kollegen trotzdem als sehr distanziert wahrgenommen.
Kollegenzusammenhalt
Ich habe in der Führungsriege keinen Zusammenhalt erlebt. Es herrscht ein starker Konkurrenzkampf zwischen den Führungskräften, welcher dazu führt, dass kein Austausch untereinander stattfindet. Eher werden Informationen vorenthalten, um einen Vorsprung gegenüber den Kollegen zu haben. Der Konkurrenzkampf ist gewollt und das wird in Meetings auch so kommuniziert. Man solle versuchen immer besser als seine Kollegen zu sein, weil nur dann würde das Gesamtergebnis gut werden. Die Grundstimmung habe ich deshalb sehr kühl und angespannt wahrgenommen. Als neuer Mitarbeiter im Führungsteam kann man sich nicht auf die Kollegen oder die nächsthöhere Ebene verlassen. Die Mitarbeiter in den Filialen sind zum Großteil sehr nett und geben ihr Bestes, um die neuen Mitarbeiter fachlich voranzubringen.
Work-Life-Balance
In meiner Zeit beim Lidl hatte ich keine Work-Life-Balance. Es wurde erwartet, dass ich jeden Tag mindestens 1,5 Stunden länger bleibe. Meine vertragliche Wochenarbeitszeit betrug 40 Stunden. Überstunden waren vertraglich abgegolten. Die Arbeitstage waren wie üblich im Einzelhandel von Montag-Samstag. Als ich einmal eine Stunde früher gehen musste, wurde am nächsten Tag direkt ein Gespräch mit mir geführt, dass ich als Führungskraft niemals diejenige sei, die den Laden früher verlässt. Ich müsse immer die letzte sein, die geht. Durch diese starre Struktur war es mir kaum möglich Privattermine zu vereinbaren. Generell hatte ich keine Planbarkeit mehr. Im Rahmen der Einarbeitung als Verkaufsleiter arbeiten die Führungskräfte in den Filialen mit, um die Hierarchie-Schritte samt Tätigkeiten einmal kennenzulernen. In dieser Zeit müssen die Verkaufsleiter in Einarbeitung ihre Zeiten erfassen, außer die Zeit in der sie effektiv eingearbeitet werden. In der Realität ist es aber so, dass die Verkaufsleiter aus dem Gebiet verlangen, dass man Pausen stempelt, die nie gemacht wurden, um die Zahlen der Filiale aufzupolieren. Eine Einarbeitung fand kaum statt.
Vorgesetztenverhalten
Mit meinem Vorgesetzten hatte ich kaum Kontakt. An meinem ersten Arbeitstag war nichts organisiert. Die meisten wussten gar nicht, dass ich starte. Er hat mir erstmal einen Monolog darüber gehalten, welche Erwartungen er in den nächsten 3 Wochen an mich hat. An meinem ersten Arbeitstag hätte ich mir ein sanfteres Onboarding gewünscht. Aufgrund der ganzen Missstände habe ich mich dann dazu entschlossen, dass Unternehmen zu verlassen. Ich habe keine Reaktion von meiner Führungskraft erhalten. Er hat sich nie mehr gemeldet und es gab auch kein Austrittsgespräch. Das finde ich in einem so großen Konzern erschreckend.
Interessante Aufgaben
Die Aufgabe an sich wäre spannend gewesen, wenn die Arbeitsatmosphäre und der kollegiale Zusammenhalt nicht so schlecht gewesen wären.
Gleichberechtigung
Es wird auf Diversität bei den Mitarbeitern geachtet.
Arbeitsbedingungen
Die Arbeitsausstattung als Führungskraft beinhaltet ein Tablet und ein Iphone. Die genutzten Programme, vor allem in den Filialen, sind sehr veraltet und daher sehr langsam. Das passt für mich mit dem Anspruch von Lidl, immer vorne dabei und schnell zu sein, nicht zusammen.
Umwelt-/Sozialbewusstsein
Es ist kein Geheimnis, dass im Lebensmitteleinzelhandel sehr viele Produkte weggeschmissen werden. Digitalisierung ist in den Filialen noch ein Fremdwort. Es werden jeden Tag stapelweise Blätter weggeworfen (Lieferscheine, Aufbaupläne etc.).
Gehalt/Sozialleistungen
Das Gehalt ist sehr gut, allerdings muss man sagen, dass es runtergerechnet auf die tatsächlich geleisteten Stunden durchschnittlich ist.
Image
Es herrscht eine große Diskrepanz zwischen dem Außenauftritt und der Atmosphäre im Unternehmen. Ich bin immer wieder überrascht darüber, wie viele Bekannte Gesichter Lidl für seine Werbung gewinnen kann. Ich bin mir sicher, dass dies nicht der Fall wäre, wenn diese einmal bei Lidl gearbeitet hätten. Es ist klar, dass Lidl nach etwaigen Skandalen (bspw. Mitarbeiterbespitzelung 2008) sehr viel Geld in sein Image gesteckt hat. Ich habe mich davon auch blenden lassen und gedacht, dass Themen wie "Vertrauen" und "Führung auf Augenhöhe" im Jahr 2023 bei Konzernen angekommen sein müssten. Ich muss sagen, dass leider immer noch eine starke Misstrauenskultur herrscht.
Karriere/Weiterbildung
Menschen die wenig empathisch sind und sich mit der nächsthöheren Ebene gut verstehen, können schnell aufsteigen. Sie können aber genauso schnell wieder tief fallen.